Ja, das Deutschlandticket hat eine Änderung des Verkehrsverhaltens bewirkt!

… für eine Mobilitätswende müssen jedoch weitere Maßnahmen ergriffen werden, um den ÖPNV attraktiver zu machen!

Das ist eines der zentralen Ergebnisse von #besserBahnfahren 2023. Für die Crowd-Science-Aktion hat das BWIM gemeinsam mit dem SWR untersucht, wie Fahrgäste ihren Alltag im öffentlichen Nahverkehr erleben und welche Rolle dabei das Deutschlandticket spielt. In einem Multimethodenansatz aus Freimeldung, Fragebogen und Probandentracking waren ÖPNV-Nutzerinnen und -Nutzer aufgerufen, von ihren Erlebnissen mit Bus und Bahn zu berichten und ihre Erfahrungen zu bewerten. Rund 6.000 Berichte gingen ein und wurden ausgewertet.

>>> ARD-Website zu Thementag und Mitmachaktion #besserBahnfahren

© SWR | Kristina Schäfer

Die Dokumentation „Besser Bahnfahren! – Was muss sich ändern?“ zum ARD-Thementag am 4. September 2023 führte Wetterexperte Sven Plöger und Moderatorin Fatma Mittler-Solak auf einen Roadtrip. Herzstück bildete ein Crowd-Science-Projekt mit wissenschaftlicher Begleitung des Baden-Württemberg Instituts für Nachhaltige Mobilität.


Die Mobilitätswende ist abhängig von Zuverlässigkeit und Taktdichte im ÖPNV

Vom Auto auf Busse und Bahnen umsteigen werden die meisten Menschen nur dann, wenn sich das ÖPNV-Angebot stark verbessert. Der Analyse zufolge ist Zuverlässigkeit das ausschlaggebende Kriterium bei der Wahl des Verkehrsmittels. In der Reihenfolge der danach wichtigsten Faktoren landeten Taktdichte auf Platz 2 und die Fahr- und Wartezeit auf Platz 3 und 4 – noch vor den Fahrpreisen. Vor Einführung des Deutschlandtickets hatten die Kosten weitaus mehr Gewicht bei der Frage Auto oder ÖPNV, so BWIM-Verkehrsökologe Prof. Jochen Eckart von der Hochschule Karlsruhe, der das Auswertungsteam gemeinsam mit Prof. Dr. Britta Renner (Universität Konstanz) und Prof. Dr. Christoph Hupfer (HKA) leitete.

Kernergebnisse Studie #besserBahnfahren 2023


Das Deutschlandticket führt dazu, dass Autos etwas seltener genutzt werden

Das Deutschlandticket führt zu einer stärkeren Nutzung des ÖPNV und reduziert auch den Autoverkehr. Das zeigte eine ergänzende, repräsentative Meinungsumfrage durch Infratest Dimap. 23 Prozent der Besitzerinnen und Besitzer eines Deutschlandtickets gaben an, seltener mit dem Auto zu fahren, seit sie das Ticket haben. „Das ist aus meiner Sicht ein überraschend deutlicher Beitrag zur erforderlichen Mobilitätswende“, so Prof. Jochen Eckart. Die ARD-Mitmachaktion zeigt: 10 Prozent der Menschen, die ein Deutschlandticket besitzen, steigen vom Auto auf den ÖPNV um. Bei Personen ohne Deutschlandticket ist dies so gut wie nie der Fall. Für 42 Prozent der bundesweit Befragten (mehr als 2.700 Personen) kam die Nutzung des Deutschlandtickets allerdings nicht in Frage. 40 Prozent können sich den Kauf vorstellen und 16 Prozent haben bereits ein Deutschlandticket. Die meisten (72 %) Käuferinnen und Käufer des Deutschlandtickets hatten auch zuvor mindestens einmal pro Woche den ÖPNV genutzt.


Das Verkehrsverhalten ändert sich

Prof. Eckarts Kernaussage aus der Analyse der ARD-Mitmachaktion und der Meinungsumfrage: „Die Einführung des Deutschlandtickets hat eine Änderung des Verkehrsverhaltens bewirkt: Durch das Deutschlandticket wird der ÖPNV häufiger und das Auto seltener genutzt. Für eine Mobilitätswende müssen jedoch darüber hinaus Maßnahmen ergriffen werden, um den ÖPNV attraktiver zu machen.“ Die Verkehrsunternehmen müssten deshalb dringend zuverlässiger bzw. pünktlicher werden. Und die Bundesländer als Aufgabenträger insbesondere auf dem Land für höhere Taktdichte und kürzere Fahrt- und Wartezeit sorgen.


Der ÖPNV wird deutlich schlechter erinnert als tatsächlich erlebt

Gefragt nach ihrer Erfahrung mit dem ÖPNV, beschreiben fast Dreiviertel der Teilnehmenden von #BesserBahnfahren ein negatives Ereignis (April 2023). Die konkrete Nachfrage, ob „gestern“ alles glatt lief, ergab 66 % positive Erfahrungen (Juli 2023). Bei direkter Beurteilung nach jeder Fahrt über einen Zeitraum von zwei Wochen springen die positiven Bewertungen auf 90 % (Juli 2023). Ein in der Psychologie als Memory-Experience-Gap beschriebenes Phänomen, das sich auch in Bezug auf den deutschen Nahverkehr zeigt: Der ÖPNV wird deutlich schlechter erinnert als tatsächlich erlebt.

Eine Erklärung dieser scheinbar widersprüchlichen Daten: Die selektive Wahrnehmung hat den Menschen gelehrt, besonderen Vorkommnissen – insbesondere negativen – mehr Aufmerksamkeit zu schenken als alltäglichen Dingen. Ein bekannter psychologischer Effekt, der noch verstärkt wird, wenn der Mensch im Gespräch mit anderen oder auch über die Medien wiederholt in seiner Wahrnehmung bestätigt wird.

Was die Studie auch zeigt: Pünktlichkeit steht für die Fahrgäste an erster Stelle. Und tatsächlich decken sich die 90 % positiven Beurteilungen aus der Livebefragung mit der Statistik für 91 % Pünktlichkeit bei Zügen der DB Regio*. Ein Wert, der in der öffentlichen Wahrnehmung wiederum von den Verspätungen im Fernverkehr (64 % Pünktlichkeit*) überlagert wird. * Deutsche Bahn: Integrierter Bericht 2023

Jedoch ist es nicht ausreichend, sich zurückzulehnen auf die Position „der ÖPNV ist besser als sein Ruf“. Wollen wir Menschen für eine neue Mobilität begeistern, gilt es die Zuverlässigkeit über das jetzige (von den Fahrgästen als unzureichend angesehene) Niveau hinaus zu steigern. Busse und Bahnen im Nahverkehr müssen erlebbar besser sein als ihr Ruf.

Kernergebnisse #besserBahnfahren (pdf)