
Der Weg zum Glühwein
– und was er über unsere Mobilität verrät.
Es ist Samstag, früher Abend, irgendwo in Deutschland. Der Himmel ist längst dunkel, die Luft kalt. Ein Lichtermeer taucht die Fassaden in eine winterliche Stimmung. Es riecht nach Zimt und Lebkuchen. Menschen stehen in kleinen Gruppen eng beieinander. Sie wärmen sich die Hände an dampfenden Bechern und sind in Gespräche vertieft.
Weihnachtsmärkte prägen in Deutschland die Adventszeit. Sie sind Treffpunkt und Ritual, ein Ort, an dem sich der Alltag für einen Moment verlangsamt. Für ein paar Wochen im Jahr entstehen hier öffentliche Räume, die Menschen zusammenbringen – unabhängig davon, ob sie sich verabredet haben oder einfach vorbeikommen.
Gerade weil Weihnachtsmärkte so selbstverständlich wirken, erzählen sie viel über etwas, das sonst weniger im Fokus steht: unsere Freizeitmobilität. Je nachdem, wo man lebt, ist der Weg zum nächsten Weihnachtsmarkt ein kurzer Spaziergang – oder eine kleine Winterreise.
Diesen Weg haben wir zum Ausgangspunkt unserer Analyse gemacht.
Freizeit hat ein Einzugsgebiet
Mobilität wird meist dort diskutiert, wo sie zwingend ist: auf dem Weg zur Arbeit, zur Schule oder zum Arzt. Freizeit dagegen gilt als freiwillig. Wer nicht kommt, hatte eben andere Pläne.
Freizeit beginnt nicht erst am Ziel, sondern auf dem Weg dorthin – und dieser Weg ist nicht für alle gleich einfach oder selbstverständlich.
Weihnachtsmärkte machen das besonders anschaulich. Sie sind zeitlich begrenzt, finden überwiegend abends statt und sind vielerorts bewusst zentral organisiert. Sie funktionieren über unterschiedliche Einzugsgebiete – mal klein und nah am Wohnort, mal größer und regionaler gedacht. Entsprechend unterschiedlich fällt auch der Mobilitätsaufwand für einen Besuch aus.
Um diese Unterschiede systematisch zu betrachten, haben wir in unserer Analyse verschiedene Verkehrsmittel einbezogen. Denn je nachdem, womit Menschen unterwegs sind, verändern sich Wege, Planungsaufwand und Möglichkeiten.
Das Auto – zwischen Zugang und Erlebnis
Ein Blick auf die Ergebnisse unserer Analyse zeigt zunächst ein klares Bild: Mit dem Auto sind Weihnachtsmärkte bundesweit gut erreichbar. Für viele Menschen ist das Auto der entscheidende Zugang zum Weihnachtsmarkt – insbesondere für Familien, ältere Menschen oder Bewohner*innen ländlicher Regionen, dort, wo Entfernungen größer sind oder der öffentliche Verkehr abends und am Wochenende nur eingeschränkt zur Verfügung steht.
Das Auto verändert aber das Erlebnis: Wer selbst fährt, plant den Abend stärker, achtet auf die Rückfahrt und bleibt oft kürzer. Der Glühwein tritt in den Hintergrund oder entfällt ganz. Die Wahl des Verkehrsmittels prägt damit den Charakter des Weihnachtsmarktbesuchs.
Für die Frage, unter welchen Bedingungen Menschen an Freizeitangeboten teilnehmen können, beschreibt das Auto jedoch nur einen Teil der Zusammenhänge.
Die Wahl des Verkehrsmittels prägt den Charakter des Weihnachtsmarkt-besuchs.
Um Unterschiede in der Erreichbarkeit genauer zu betrachten, legen wir den Schwerpunkt daher auf den Fußverkehr und den öffentlichen Verkehr. Gerade hier wird sichtbar, wie unterschiedlich Freizeitwege im Alltag organisiert sind – insbesondere abends und am Wochenende. In den Ergebnissen zeigen sich dabei klare regionale Muster.

Im Süden und Westen dominieren kurze Wege
Wer die Karte zur Erreichbarkeit von Weihnachtsmärkten betrachtet, erkennt schnell ein übergeordnetes Muster: Große Teile des Südens und Westens Deutschlands leuchten grün. Besonders Baden-Württemberg, aber auch Teile von Hessen, Rheinland-Pfalz sowie Nordrhein-Westfalen weisen eine sehr gute Erreichbarkeit zu Fuß und mit dem öffentlichen Verkehr auf.
In diesen Regionen erreichen viele Menschen ihren Weihnachtsmarkt in kurzer Zeit – oft in weniger als 20 Minuten. Dichte Siedlungsstrukturen, eine Vielzahl kleinerer Märkte und ein vergleichsweise gut angebundener Abendverkehr sorgen dafür, dass sich der Weihnachtsmarktbesuch leicht in den Alltag einfügt.
Auch Städte mit dezentral organisierten Weihnachtsmärkten tragen dazu bei. In Stuttgart, Köln, Frankfurt oder Freiburg ist der Weg zum Glühwein häufig kurz und oft auch spontan möglich.
Der lange Weg im Norden und Osten
Ein anderes Bild zeigt sich im Norden und Osten Deutschlands. In Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Teilen Niedersachsens färbt sich die Karte zunehmend rot.
Das bedeutet nicht, dass es dort an attraktiven Weihnachtsmärkten fehlt – im Gegenteil. Städte wie Rostock, Erfurt, Leipzig oder Dresden gehören zu den beliebtesten Weihnachtsmarktstandorten des Landes. Doch aus ländlicheren Regionen sind die Wege dorthin häufig länger. Der Weihnachtsmarkt wird zur bewussten Unternehmung, der Weg dorthin zum festen Bestandteil des Abends.
Ein entscheidender Faktor ist dabei das ausgedünnte ÖPNV-Angebot am Wochenende. Wenn Busse und Bahnen seltener fahren oder früh enden, wächst der organisatorische Aufwand – selbst dort, wo die Entfernungen eigentlich überschaubar wären. In der Verbindung von Weihnachtsmarkt und Umweltverbund zeigt sich hier noch deutliches Potenzial.

Wenn Nähe bewusst organisiert wird: ein Blick in die Pfalz
Zwischen diesen beiden Mustern lohnt ein genauerer Blick auf Regionen, in denen Nähe und Anbindung gezielt zusammenspielen. Ein besonders anschauliches Beispiel ist die Pfalz.
In Speyer und Neustadt an der Weinstraße ist die Erreichbarkeit von Weihnachtsmärkten zu Fuß und mit dem öffentlichen Verkehr bundesweit besonders hoch. Kurze Wege, zentrale Lagen und ein verlässliches ÖPNV-Angebot sorgen dafür, dass der Weihnachtsmarkt auch ohne Auto gut erreichbar bleibt.
Die Pfalz kann damit nicht nur Wein, sondern auch Glühwein. Sie zeigt, wie Freizeitangebote funktionieren können, wenn Erreichbarkeit nicht dem Zufall überlassen wird, sondern aus Struktur entsteht.

Baden-Württemberg: Nähe als Strukturprinzip
Was sich in der Pfalz beobachten lässt, ist kein Sonderfall. Besonders deutlich wird dieses Strukturprinzip in Baden-Württemberg.
Während viele Regionen unter einem klassischen Stadt-Land-Gefälle leiden, schneiden hier oft gerade die ländlichen Räume besonders gut ab. Im Schwarzwald etwa erreichen zahlreiche Gemeinden sehr gute Erreichbarkeitswerte – nicht, weil sie überregionale Anziehungspunkte wären, sondern weil Weihnachtsmärkte fein verteilt sind. Ein Beispiel ist Forbach: hoher Waldanteil, aber dennoch eine sehr gute Erreichbarkeit des Weihnachtsmarkts.
Fast 100 der rund 1.100 Gemeinden in Baden-Württemberg erreichen in unserer Analyse die höchste Bewertungsstufe. Ein wesentlicher Grund dafür ist der öffentliche Verkehr: In vielen ländlichen Regionen ist es möglich, selbst samstags abends noch mit Bus oder Bahn vom Weihnachtsmarkt nach Hause zu kommen. Auch Städte können davon profitieren. Villingen-Schwenningen zeigt, dass selbst in zersiedelten Strukturen eine sehr gute Weihnachtsmarkt-Erreichbarkeit möglich ist. Gleichzeitig gibt es auch hier Regionen – etwa rund um Tuttlingen oder im Alb-Donau-Kreis –, in denen der Weg deutlich länger ausfällt
Bayern und Sachsen: starkes Stadt-Land-Gefälle
Ein anderes Organisationsprinzip zeigt sich in Bayern und Sachsen. In den größeren Städten – allen voran im Großraum München – ist die Erreichbarkeit der Weihnachtsmärkte sehr gut. Dichte Netze und zentrale Lagen sorgen für kurze Wege, auch am Abend.
Auch abseits der Städte gibt es zahlreiche attraktive Weihnachtsmärkte. Viele von ihnen ziehen Besucher*innen aus dem Umland an und sind mit dem Auto gut erreichbar. Ihr Einzugsgebiet ist häufig größer als das der städtischen Märkte.
Ohne Auto verändern sich diese Wege jedoch deutlich. Außerhalb der urbanen Zentren übernehmen wenige Märkte eine zentrale Versorgungsfunktion für große Räume. Mit dem öffentlichen Verkehr sind sie oft nur eingeschränkt erreichbar oder erfordern Umwege und Umstiege. Nicht selten dauert die Anreise mit Bus und Bahn mehr als dreimal so lange wie mit dem Auto – besonders abends und am Wochenende.
So entsteht ein deutliches Stadt-Land-Gefälle, das weniger mit dem Angebot selbst zu tun hat als mit der Organisation der Wege dorthin.

Vergleich: Baden-Württemberg mit Bayern mit dem ÖPNV
Was der Weg zum Glühwein sichtbar macht
Die Erreichbarkeitskarte der Weihnachtsmärkte zeigt mehr als regionale Unterschiede. Sie macht sichtbar, wie unterschiedlich Freizeitmobilität in Deutschland organisiert ist – und welche Rolle Nähe, Anbindung und Verlässlichkeit dabei spielen.
So wird der Weg zum Glühwein mehr als eine Momentaufnahme der Adventszeit. Er steht exemplarisch für die Frage, wie zugänglich Freizeit im Alltag ist – und wie stark sie von Ort, Zeit und Verkehrsmittel abhängt.
Gerade bei Freizeitangeboten, die Menschen zusammenbringen, wirkt Mobilität oft nur im Hintergrund – und prägt dennoch, wie selbstverständlich die Teilnahme am Alltag gelingt. Der Weihnachtsmarkt verweist damit auf etwas Grundsätzlicheres: Freizeit entscheidet sich nicht nur am Angebot, sondern auf dem Weg dorthin.
Weihnachtsmarkt-Karten
Die drei interaktiven Karten zeigen, wie sich die Erreichbarkeit verändert, wenn andere Verkehrsmittel zur Verfügung stehen. Von links nach rechts steigt die Qualität – weil der Handlungsspielraum größer wird.
Der Vergleich macht sichtbar, wo Freizeitangebote ohne Auto erreichbar sind und wo sie erst durch das Auto zugänglich werden. Dies wird insbesondere im direkten Vergleich deutlich wie die Vergleichskarte mit Schieberegler zeigt:
Take aways
Freizeitmobilität folgt anderen Regeln als z.B. der Berufsverkehr.
Fuß- und ÖPNV-Erreichbarkeit bestimmen, wie spontan und inklusiv Freizeitangebote sind.
Nicht nur die Attraktivität eines Freizeitangebots entscheidet über Teilnahme, sondern das Einzugsgebiet.
Das Auto ermöglicht Zugang – verändert aber je nach Freizeitaktivität das Erlebnis.







